KircheAm 27. Oktober vor 20 Jahren trafen sich Moritzburger Bürger zu einer nie dagewesenen Bürgerversammlung. Sie markiert die friedliche Revolution in der DDR für den Ort Moritzburg. Zum Wendegedenken gestalteten Schüler unserer Schule die Festveranstaltung mit.

Neben einer musikalischen Umrahmung durch unsere Band Last Level verlasen Pauline, Vivian und Damaris Texte, die Zeitzeugenberichte spiegeln. Sie wurden im Vorfeld der Gedenkveranstaltung von uns geschrieben.

1. Text: Der Doktor hat gesagt, die SED muss weg

Der Doktor hat das gesagt? Wo? In der Kirche? Hat er gar nicht? Er hat nur vom Führungsanspruch gesprochen? Du liebe Güte, was ist denn das, Führungsanspruch?
Und was damals so alles hochkochte. Überall gab es Aufbruch. In Polen und Tschechien rumorte es, Ungarn weigerte sich, flüchtende DDR-Bürger aufzuhalten. Viel Gesprächsstoff zur damaligen Zeit. Was war mit dem Trinkwasser? Es soll Lösungsmittel enthalten. – Das Trinkwasser giftig? Eine Bürgerinitiative bildete sich, es war eine Stimmung des „Wir machen nicht mehr alles mit“. Und dann auch noch die Wahl. Waren das überhaupt Wahlen? Diese Zahlen vom Mai 1989 konnten nicht stimmen. In der konstituierenden Sitzung des neuen Moritzburger Gemeinderates verlasen neue Gemeinderäte eine Erklärung. Viel Trubel und Aufregung gab es drum herum. Aber es konnte so nicht weiter gehen.

Gezittert haben sie, vor Angst und vor Wut gleichermaßen. Dazu kam das Bewusstsein, hier passiert Geschichte und wir sind mitten drin. Es folgte eine Bürgerversammlung, eigentlich in der Schulspeisung – doch die war viel zu klein. Dann die Kirche, voll wie Weihnachten und eine ganz schwierige Situation. Wer wird gehört? Bleibt es friedlich? Menge ist auch irgendwie bedrohlich. Dann dieses Bild: Mehr Reisefreiheit usw., das seien nur Tabletten, man bräuchte aber Chirurgie, müsste den Führungsanspruch der SED herausschneiden.
Führungsanspruch – Allmacht – die festgelegte Wahl-Arithmetik. Mir ist nicht klar, warum man überhaupt wählen ging? Es lag doch alles schon fest?! War es Resignation, Gehorsam, Alltagsmüdigkeit, der Glaube an das Bessere? Brauchte man wirklich Chirurgie? – Immer schneller wurde der Gang, hin zu neuen fairen Wahlen im März 1990, herausgetrennt wurde der Führungsanspruch, eine demokratisch gewählte Regierung übernahm die Führung.
Doch, was hat der Doktor nun eigentlich genau gesagt?

2. Text: Kaum zu glauben, Fasching und Mut waren vereint?

Die lustig kostümierten Karnevalsnarren stellen natürlich den Alltag pointiert dar. Na klar. Das ist heute z.B. in Köln so, wenn auf aufwändig gestalteten Wagen Politik streitbar dargestellt wird und die streitbarsten Darstellungen im ganzen Land Beachtung finden. Ganz selbstverständlich wird ausgiebig über die Darstellungen gesprochen, der Eine findet sie abstoßend, der Andere „auf den Punkt gebracht“. Und immer wieder die Frage: Darf man denn das? Geht das nicht zu weit? Ist das nicht zu viel? Klar wird darüber gestritten, bei den Karnevalisten, den Zuschauern oder in den Medien. Hat diese überspitzte Darstellung von politischen Zuständen etwas mit Mut zu tun? Natürlich. Man braucht Mut, setzt man sich doch der Kritik nicht nur seiner Freunde, sondern des ganzen Landes aus.
Was hatten sich die Moritzburger Karnevalisten 1989 eigentlich gedacht, als sie das Motto wählten: „Eine Reise um die Welt in 109 Tagen“. Was ging ihnen beim Malen der Bühnendekoration durch den Kopf? Was dachten sie, als in einem Sketch das DDR-Urlauberschiff „Fritz Heckert“ sinken und Erich Honecker zuletzt noch die Fahne schwenken sollte? „Du bist hier nicht auf der „Fritz Heckert“ – war ein beliebter Spruch – und sollte heißen: „Mach mal hier keinen Urlaub!“ oder „Faulenze hier nicht so herum“. Das Urlauberschiff war ein Inbegriff sozialistischen Luxusurlaubs und gleichzeitig eine trügerische Fahrt in die weite Welt. Denn die weite Welt hörte zu dieser Zeit sehr schnell auf, fährt man heute auf der A4, käme man gerade bis zur Wartburg, hinter Plauen wäre auf der A72 Schluss, mit etwas Glück und viel Improvisation ging`s vielleicht nach Ungarn.
Ok. mit Reisen war nix und das bildete eben den karnevalistischen Hintergrund. Und das das DDR – Urlauberschiff am Sinken war, na gut, eine karnevalistische Pointe eben. Doch da ist da noch das kleine Wörtchen Mut. Wie gering müssen den Machern von damals die Kölner Probleme erscheinen. Nicht nur der Kritik von Freunden setzte man sich aus, sondern auch einer schwer fassbaren unklaren und unheimlichen Gefahr, einer Gefahr, die das eigene Leben völlig verändern konnte, einer realen Gefahr für die eigene Lebenswelt. Gefährdete man mit den Pointen seine Zukunft? Die seiner Kinder?
Viele solche Anstöße brachten die Veränderung. Mut zum Reden, zum Handeln, zum friedlich sein, zum aufeinander zugehen wurde gebraucht. Und mit jedem mutigen Schritt wurden auch andere zu mutigen Schritten bewegt. In solch kleinen mutigen Schritten ging es in Richtung einer neuen demokratischen Gesellschaft.

3. Text: Die Hochstimmung ist irgendwie weg

Eine fast naive Freude erfüllte Sie. Und weg ist diese. Doch, wo kam sie her und wie ist sie gegangen?
Der 27. Oktober, hier in der Kirche, war überwältigend, war völlig neu, war ein ganz tolles Gefühl. Wie man sich plötzlich äußern konnte. Die Untergrundangst, ob man sich einfach so äußern durfte, war da, aber relativ unbedeutend. Man konnte und man wollte.
Da waren in Dresden die Demos. Es wuchs eine riesengroße Aktivität empor. Sie wollten etwas mitmischen, etwas verbessern, mithelfen – es anders zu tun. Nicht ganz groß, aber auch nicht klein. Neues Forum, welch ein lockerer Verband. Feste Strukturen hätte es bedurft, aber woher sollten die kommen? Runde Tische wurden gebildet. Runde Tische, ein Symbol des gleichberechtigten miteinander Umgehens. Sie waren beim Kreis, längst gibt es ihn nicht mehr. Landräte mussten gehen, wegen Stasi-Vorwürfen. Der Import aus Bayern brachte es voran. Die 4 vom Neuen Forum verschwanden allmählich, gingen auf in Richtung Grün. Etablierte Parteienstrukturen sind stärker. Und doch, es wurden allerhand Dinge ins Rollen gebracht.
Dinge ins Rollen gebracht – das war es. Diese große Basisdemokratische Stimmung. Ehrenamtlich, getragen von einem riesigen Enthusiasmus. Langsam verflog es. Sie haben es irgendwie gepackt. Doch die Hochstimmung ist leider weg. Vielleicht kann man sie heute hier ein wenig noch fühlen?